Weder Arbeitsgesellschaften noch Ungleichheits- oder Eigentumsverhältnisse können 'geschlechtsneutral' adressiert werden, weshalb ein geschlechtersensibler Blick eine Selbstverständlichkeit in allen Forschungsschwerpunkten ist. Zugleich bildet die Analyse von Geschlechterverhältnissen aber auch einen eigenen Schwerpunkt unserer Arbeit: Die Analyse von Männlichkeit (im Wandel) ist hier ebenso zentral wie die Untersuchung von Familienstrukturen, Paarbeziehungen und Sexualität im Wandel. Ausgehend von einem erweiterten Arbeitsbegriff, der neben Erwerbsarbeit auch unbezahlte Haus- und Sorgearbeit umfasst, wird im Institut ferner zur Krise der sozialen Reproduktion und zum Wandel von Care- und Sorgeverhältnissen in Zeiten familialen, wohlfahrtsstaatlichen und demographischen Wandels geforscht. In diesem Zusammenhang ist auch die Beschäftigung mit dem Alter(n) von Gesellschaft und Individuen ein zentraler Forschungsfokus.
Geförderte Forschungsprojekte
„Fürsorgliche Jungen? Alternative (Forschungs-)Perspektiven auf die Reproduktionskrise“
Projektleitung: Prof. Dr. Sylka Scholz
Mitarbeiter*innen: Nadine Nebyie Baser, Kevin Leja, Iris Schwarzenbacher
Laufzeit: 01.02.2019-31.04.2022
Förderung: DFG
Weitere Informationen zum Projekt: https://www.soziologie.uni-jena.de/arbeitsbereiche/qualitative-methoden-und-mikrosoziologie/forschung
Weitere Forschungsvorhaben
Prof. Dr. Kathrin Leuze, Arbeitsbereich Methoden der empirischen Sozialforschung und Sozialstrukturanalyse: Die Bedeutung von horizontaler Segregation nach Studienfächern für Bildungs- und Arbeitsmarktungleichheiten zwischen hochqualifizierten Frauen und Männern
Das Forschungsprojekt fokussiert auf Geschlechterungleichheiten unter hochqualifizierten Frauen und Männern im Studium und auf dem Arbeitsmarkt und fragt, welche Bedeutung der geschlechtstypischen Studienfachwahl diesbezüglich zukommt. Einerseits können sind Frauen heutzutage höher qualifiziert sind als Männer, erhalten bessere Noten und schließen häufiger ein Hochschulstudium ab. Andererseits sind sie im Arbeitsmarkt nach wie vor benachteiligt und haben im Anschluss an ihr Studium ein größeres Risiko, gar nicht oder Teilzeit beschäftigt zu sein bzw. sie arbeiten in anderen Berufen und statusniedrigeren Positionen. Da Frauen nach wie vor andere Fächer studieren als Männer, untersucht das Projekt, welche Bedeutung die horizontale Segregation von Studienfächern einerseits für Geschlechterungleichheiten im Studienerfolg, vor allem mit Blick auf Studienfachwechsel, und andererseits für die Entwicklung von ungleichen Arbeitsmarktchancen im Lebensverlauf von akademisch gebildeten Frauen und Männern hat.
Prof. Dr. Kathrin Leuze, Arbeitsbereich Methoden der empirischen Sozialforschung und Sozialstrukturanalyse: Individuelle und institutionelle Einflussfaktoren auf geschlechts(un-)typische Berufsaspirationen im Jugendalter
Aus der Literatur ist es hinlänglich bekannt, dass Frauen und Männer in anderen Berufen arbeiten und dass diese geschlechtstypische „Berufswahl“ mit ungleichen Arbeitsmarkterträgen einhergeht. Allerdings ist bislang immer noch wenig darüber bekannt, warum sich junge Frauen und Männer für unterschiedliche Berufe interessieren und warum sich die geschlechtstypischen Berufsaspirationen zwischen industrialisierten Ländern unterscheiden. Daher untersucht das Projekt in einem ersten Schritt mögliche Einflussfaktoren für die Entwicklung von geschlechts(un-)typischen Berufsaspirationen und fokussiert auf die Bedeutung von Kompetenzen und Noten, das Elternhaus sowie das schulische Umfeld. In einem zweiten Schritt werden diese Analysen auf 30 Länder der EU und der OECD ausgeweitet. Untersucht wird zum einen, inwiefern kulturelle und institutionelle Länderunterschiede die geschlechtsstereotypen Berufserwartungen beeinflussen, und zum anderen, ob sich dadurch auch Länderunterschiede in den Präferenzen für MINT Berufe (Mathematik, Ingenieurswissenschaften, Naturwissenschaften, Technik) erklären lassen.
Dr. Charlotte Büchner, Arbeitsbereich Methoden der empirischen Sozialforschung und Sozialstrukturanalyse: Entwicklungsaufgaben und geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten
Das Habilitationsprojekt setzt sich mit differentiellen schulischen Leistungen und Bildungserfolgen von Jungen und Mädchen auseinander. Bisherige Studien zeigen, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in der schulischen Bildungsbeteiligung und im Zertifikatserwerb vor allem im höheren Sekundarschulbereich zu finden sind und diese deutlich zugunsten der Mädchen ausfallen. Jungen sind proportional häufiger an Hauptschulen vertreten und verlassen die Schule häufiger ohne einen Abschluss, während Mädchen an Gymnasien überrepräsentiert sind und häufiger die Allgemeine Hochschulreife erlangen als Jungen. Aufbauend auf dem Konzept psychosozialer Entwicklungsaufgaben wird angenommen, dass Mädchen und Jungen zentrale Lebensbereiche im Jugendalter unterschiedlich bewältigen und dies im Zusammenhang mit ihren unterschiedlichen Bildungserfolgen steht. Für die empirische Untersuchung interessiert dabei die Frage, welche Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen in der Bewältigung der Entwicklungsaufgaben Bindung, Regeneration und Partizipation bestehen und inwiefern diese zu geschlechtsspezifischen Bildungsungleichheiten zuungunsten von Jungen beitragen. Neben dem Geschlecht wird auch das Bildungsmilieu der Jungen und Mädchen einbezogen, um im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem theoretischen Konzept differenziertere Erkenntnisse zu gewinnen. Die empirische Untersuchung basiert auf einer Fragebogenerhebung aus dem Jahr 2014, durchgeführt und finanziert durch den Lehrstuhl Allgemeine Erziehungswissenschaft und empirische Bildungsforschung der Universität Erfurt. Befragt wurden insgesamt 1.192 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen neun und zehn an deutschen Regelschulen und Gymnasien im Raum Mittelthüringen.
Ralf Minor, Arbeitsbereich Methoden der empirischen Sozialforschung und Sozialstrukturanalyse: Economic Issues in Higher Educational Pathways – Empirical Evidence on Whether and Where to Study and with Which Success
Das der Hochschulforschung zuzuordnende Dissertationsprojekt widmet sich den ökonomischen Einflüssen auf die Teilhabe, Durchführung und den Erfolg von tertiären Bildungswegen. Ein besonderer Fokus liegt auf der Untersuchung von Aspekten der Sozialen Gerechtigkeit und Segregation bei unterschiedlichen Ausgangssituationen von Studierenden oder den Wirkungen politischer Interventionen. Die drei – im Rahmen dieser Dissertation entstehenden – Arbeitspapiere haben unterschiedliche Fokussierungen. Während Paper 1 die politische Intervention der Erhebung und Abschaffung von Studiengebühren auf Basis von Paneldaten untersucht, eruiert Paper 2 dieses Instrument und dessen unterschiedliche Ausprägungen mittels eines systematischen Reviews auf europäischer Ebene. Das dritte Paper untersucht Determinanten erfolgreicher Studienabschlüsse an deutschen Fachhochschulen auf Basis administrativer Individualdaten.
Projektlaufzeit: August 2019 – Juli 2022
Kooperationspartner: Prof. Dr. Matthias-Wolfgang Stoetzer, Ernst-Abbe-Hochschule Jena
Dr. Mike Laufenberg, Arbeitsbereich Politische Soziologie: Queere Theorien revisited
Queere Theorien analysieren, wie Sexualitäts- und Geschlechterverhältnisse im Kontext der Geschichte und Gegenwart von globalem Kapitalismus, Nationalstaat, Migration, Rassismus und (Post-)Kolonialismus reguliert und geformt, aber auch zum Ausgangspunkt für emanzipatorische Bewegungen werden. In den letzten 15 Jahren ist die Queer Theory gesellschafstheoretischer, materialistischer und transnationaler geworden als sie es in den 1990er Jahren war. Hierbei kommt es, wie beim queer und transgender marxism, zu gewinnbringenden Theorieentwicklungen, die vermeintlich inkompatible Theorietraditionen zusammenführen. Mike Laufenberg arbeitet derzeit an der Umsetzung von zwei Publikationsprojekten, die die Genealogie und Gegenwart der Queer Theory behandeln und die helfen wollen, die noch lückenhafte deutschsprachige Rezeption dieser Entwicklungen zu schließen: Queere Theorien zur Einführung (Junius Verlag) sowie, gemeinsam mit Ben Trott, Queer Studies. Schlüsseltexte (Suhrkamp) sollen beide 2022 erscheinen.
Dr. Sarah Uhlmann, Arbeitsbereich Politische Soziologie: Reproduktionskämpfe in der Stadt
Ausgehend von dem Befund zunehmender und zugleich vielfältiger Proteste in und um die Stadt untersucht das abgeschlossene Dissertationsprojekt die Gründe und Gemeinsamkeiten städtischer Proteste und fragt darüber hinaus, um welche Form sozialer Kämpfe es sich bei diesen handelt. Um die urbanen sozialen Bewegungen über den europäischen Kontext hinaus zu charakterisieren, erklären und klassifizieren zu können, wurden die Stadtentwicklungen und städtischen Protestinitiativen in New York City, Buenos Aires und Hamburg in einer qualitativen Fallstudie verglichen. Dabei zeigt sich zum einen, dass die urbanen sozialen Bewegungen gewisse sozialräumliche Inhalte und Praktiken, die vor allem auf eine Verbesserung der Wohn- und Lebensbedingungen zielen, teilen. Zum anderen wird deutlich, dass die urbanen Proteste eine Reaktion auf eine zunehmende Inwertsetzung des städtischen Raums und generelle Prozesse der Landnahme darstellen. Aufbauend auf diesen empirischen Befund wird in der Arbeit eine klassentheoretische Deutung der Proteste entwickelt, wobei die urbanen sozialen Bewegungen als erweiterte Klassenauseinandersetzungen, die sich in der Sphäre der sozialen Reproduktion äußern, gefasst werden. Mit dieser Klassifizierung sollen somit nicht nur die politökonomischen Ursachen der Proteste benannt, sondern auch die Formierung der urbanen sozialen Bewegungen als politischer Akteur eingefangen werden. Indem das Forschungsprojekt die Verschränkung von Handlungs- und Strukturebenen in Bezug auf urbane Proteste analysiert, will es einen Beitrag zur sozialen Bewegungsforschung leisten.
Dr. Tine Haubner, Arbeitsbereich Politische Soziologie: Geld oder Leben - Sorge und Sorgearbeit im Kapitalismus
Brigitte Aulenbacher, Cornelia Klinger und Tine Haubner arbeiten gerade an der Publikation eines Buches mit dem Titel "Geld oder Leben - Sorge und Sorgearbeit im Kapitalismus". Die Publikation, die Sorge und Sorgearbeit im späten Kapitalismus ins Visier nimmt, geht von der Ausgangsannahme aus, dass im späten Kapitalismus nicht nur Arbeit, sondern das ganze Leben Maximen von Effizienz und Profit unterworfen werden soll. Sorge und Sorgearbeit werden dabei global neu geordnet und sind technologisch, wirtschaftlich, zivilgesellschaftlich und ‚privat‘ umkämpft. In die neue Ordnung des Sorgens schreiben sich zudem alte Macht- und Herrschaftsverhältnisse nach Gender, Race, Class ein. Die drei Autorinnen betrachten das spätkapitalistische Sorgeregime aus philosophischen und soziologischen Perspektiven. Ihre Sozial- und Zeitdiagnosen verbinden sie mit der Suche nach Wegen aus den Krisen gesellschaftlicher Reproduktion.
Das Buch soll im Frühjahr 2020 im Beltz-Verlag erscheinen: https://www.beltz.de/fachmedien/soziologie/produkte/produkt_produktdetails/40316-geld_oder_leben_sorge_und_sorgearbeit_im_kapitalismus.htmlExterner Link.
Prof. Dr. Sylka Scholz, Arbeitsbereich Qualitative Methoden und Mikrosoziologie: Caring Masculinities. Zur Relation von Fürsorge und Männlichkeiten
Männern werden neuerdings (wieder) stärker in den Fürsorgebereich involviert. Sie tauchen in der Position des aktiven Vaters, des Fürsorgegebers in der häuslichen Pflege von Familienangehörigen, in der Alten-/Krankenpflege oder des Erziehers in der Kita auf. Sichtbar wird, dass Fürsorglichkeit/Care gegenwärtig neu verhandelt wird. Die Fürsorglichkeit/Care ist in modernen kapitalistischen Gesellschaften dem weiblichen Geschlechtscharakter zugeschrieben. Diese Relation bricht aus unterschiedlichen Gründen auf. Seit mehreren Jahren beschäftige ich mich mit dem Zusammenhang von Männern, Männlichkeiten und Fürsorge. Mich interessiert, ob und wie die Erfahrungen als Care-Giver die individuellen Männlichkeitskonstruktionen verändern. Und weitergehend: Können Fürsorgeerfahrungen das Potential einer subjektiven Transformation entfalten? Beziehen sich diese nur auf den privaten Lebensbereich? Entwickelt sich eine Fürsorgehaltung, die sich auch politisieren ließe etwa hinsichtlich des Engagements für eine demokratische Postwachstumsgesellschaft? Vor diesem Hintergrund habe ich gemeinsam mit Andreas Heilmann ein Hearing zum Thema „Männlichkeiten in kapitalistischen Wachstumgesellschaften“ (Januar 2018) im Kolleg Postwachstumsgesellschaften organisiert und mehrere Aufsätze publiziert u.a. „Caring Masculinities – gesellschaftliche Transformationspotentiale fürsorglicher Männlichkeiten?“ in: Feministische Studien, Schwerpunkt Postwachstum, 31. Jg. H. 2, 349-357 und Repliken, ebd., 369-373). 2019 ist der Tagungsband „Caring Masculinities. Männlichkeiten in der Transformation kapitalistischer Wachstumsgesellschaften“ beim Oekom Verlag München erschienen. Das Thema verfolge ich in dem Forschungsprojekt „Fürsorgliche Jungen? Alternative (Forschungs-)Perspektiven auf die soziale Krise der Reproduktion“ weiter. Im Schwerpunktheft „Sorgende Männer. Perspektiven der Geschlechterforschung auf Männlichkeit und Care“ der Zeitschrift Gender erscheint im Frühjahr der Aufsatz “Fürsorge sichtbar werden lassen – Eine tiefenhermeneutische Analyse der Lebenswelten männlicher Jugendlicher“ (mit Aaron Korn). Das Forschungsprojekt „Studien- und Berufswahl von männlichen Jugendlichen im Feld von Sorge-Tätigkeiten“ diskutiert, inwieweit sich Caring Masculinities im Bereich der Alten- und Krankenpflege entwickeln. Die Ergebnisse erscheinen in dem Sammelband „Jungen, männliche Jugendliche und junge Männer in Bildungskontexten“ herausgegeben von Jürgen Budde und Thomas Viola Rieske beim Verlag Barbara Budrich im Frühjahr 2022.