Habilitationsprojekt von Silke van Dyk
Bearbeitungszeitraum: ab Herbst 2007
Ziel des Habilitationsprojektes ist es, die Analyse der in den Industrienationen populären "Neu-Verhandlung des Alters als aktives und produktives Alter", die sich an der Schnittstelle von Alterssoziologie und Wohlfahrtsstaats- bzw. sozialer Aktivierungsforschung bewegt, theoretisch zu fundieren. Hintergrund dieses Projektes ist eine weitgehende theoretische Abstinenz der deutschsprachigen Gerontologie, die in einer Entproblematisierung der Altersaktivierung als 'win-win-Situation' mündet sowie eine Analyse aktivgesellschaftlicher Mobilisierung, die allein auf die erwerbsfähige Bevölkerung fokussiert.
Im Sinne eines Theorieimports wird zum einen auf theoretische Ansätze aus der angelsächsischen Gerontologie zurückgegriffen, die im deutschsprachigen Raum bislang kaum rezepiert werden. Zu nennen sind hier insbesondere die Political Economy of Ageing, die Cultural Gerontology, die Foucauldian Gerontology, postmodern konturierte Analysen zu Körper und Konsum sowie Ansätze aus der feministischen Gerontologie. Gemeinsam ist diesen so unterschiedlichen theoretischen Ansätzen, dass sie entgegen des gerontologischen Mainstreams nicht auf bio-medizinische Modelle und die individuelle Bewältigung des Alters fokussieren, sondern sich den Prinzipien seiner individuellen und gesellschaftlichen Konstruktion zuwenden. Hier liegt theoretisches Potential, um den Konstruktionsprozess des aktiven und produktiven Alters in seinen unterschiedlichen Dimensionen, Implikationen und Kontexten zu erfassen. Zum anderen sollen theoretische Perspektiven der kritischen Aktivierungsforschung - so insbesondere arbeitssoziologische Ansätze zu Subjektivierung sowie gouvernementalitätstheoretische Analysen im Anschluss an Foucault - für die Analyse der Altersaktivierung nutzbar gemacht werden. Es wird darum gehen, die von diesen Ansätzen (in unterschiedlicher Weise) herausgearbeitete Ambivalenz von Ermöglichung und Disziplinierung, von Autonomie und 'Zurichtung' für das spezifische Feld der Altersaktivierung neu zu diskutieren und empirisch zu schärfen. In diesem Zusammenhang wird auch zu klären sein, inwiefern und unter welchen (theoretischen) Bedingungen die Altersaktivierung in die 'allgemeine' Aktivierungsforschung zu integrieren ist. Von zentraler Bedeutung ist hier die Frage, ob und inwiefern die starke Verankerung eines defizitorientierten Altersbildes, das sich nicht zuletzt in einer alltäglichen wie strukturellen Altenfeindlichkeit materialisiert, neue Perspektiven auf die skizzierte Ambivalenz eröffnet - wird Aktivität doch als Gegenmodell zur Defizitperspektive diskutiert und wahrgenommen.
Und nicht zuletzt bietet die theoretische Geschlechterforschung zahlreiche - und von wenigen Ausnahmen bislang weitgehend ungenutzte - Anknüpfungspunkte für eine theoretische Fundierung der Neuverhandlung des Alters. Die Debatten um Gleichheit und Differenz, die Sensibilisierung für einen strukturellen Androzentrismus, Ansätze zur Dekonstruktion von Zweigeschlechtlichkeit sowie Analysen zu Sexismus und Geschlechterhierarchien sind in hohem Maße instruktiv, ohne dass damit eine 'analoge' Anwendung angedacht oder präjudiziert wäre. Angestrebt ist vielmehr eine theoretische Re-Formulierung von Ansätzen und Konzepten im Lichte der Analyse des (aktiven) Alters.
In diesem Sinne wird es im Rahmen des Projektes nicht allein um einen 'Theorieimport' seitens der Alterssoziologie gehen, sondern auch um die Frage, inwiefern die soziologische Altersforschung zu 'exportieren' in der Lage ist, inwiefern sie also zur Theoriebildung in der 'allgemeinen' Soziologie beitragen kann. Dies ist bislang - wie Martin Kohli zu Recht moniert - nicht der Fall, wobei auch hier gilt, dass (wenige) Ausnahmen die Regel bestätigen. Angedacht ist in diesem Zusammenhang insbesondere eine theoretische Neujustierung der Diskussionen um Gleichheit und Differenz: Die Tatsache, dass das Alter - im Gegensatz zum konkreten Geschlecht - zuverlässig von allen Menschen 'durchlaufen' wird und dass die Maximen eines aktiven und produktiven Alters der mittleren Lebensphase entliehen sind, dürfte neue Anregungen für diese Debatte liefern. Weiterhin kann und soll das Projekt einen Beitrag zur Intersektionalitätsforschung leisten, im Rahmen derer das Alter bislang - insbesondere im Vergleich zu den Kategorien Gender und Ethnizität - theoretisch wie empirisch vernachlässigt wird. Und schließlich ist geplant, am Beispiel der Verdrängung der Todesnähe durch die Konstruktion eines aktiven und produktiven Alters Anschlussstellen einer sozialkonstruktivistischen Forschung an die Sozialanthropologie auszuloten.